MPC Classic-Tour 2022 durch das Sauerland

Weltmarktführern auf der Spur

Es war ein großartiges Juni-Wochenende. Endlich fand sie statt, die 16. MPC Classic Tour, die, Corona bedingt, mehrmals verschoben werden musste. Es war die Wiederbelebung unserer MPC-Philosophie vom freundschaftlichen Miteinander, Netzwerken und Kennenlernen interessanter Unternehmen rund um die Automobilindustrie. Leider hatte kurzfristig die Hälfte der avisierten Teilnehmerschaft absagen müssen und die restlichen 11 Teilnehmer der Runde gezwungen, erst einmal den Organisator zu trösten und diese Peinlichkeit dann bei den Gastgebern zu überspielen. Doch dies gelang ohne Schwierigkeit, denn es war so beeindruckend, was uns geboten wurde, dass unsere kenntnisreichen, großes Interesse und Engagement zeigenden Fragen den Gastgebern vermitteln konnten, dass nicht die Quantität der Teilnehmer, sondern deren Qualität letztlich ausschlaggebend ist.

Unser MPC-Kollege Andreas Heine hatte die Tour fantastisch und ideenreich organisiert und sogar das Wetter fest im Griff. So fuhren wir bei schönstem Sonnenschein durch das zugegebenermaßen von mir bis dahin unterschätzte Sauerland – übrigens, nicht nur in Oldtimern, sondern auch mit aktuellen Modellen und Stromern (bitte für ein nächstes Mal vormerken!). Die Abende verbrachten wir bei hochsommerlichen Temperaturen unter freiem Himmel. Zunächst dinierten wir gemütlich im Burghof der im Jahr 1222 gegründeten und eindrucksvoll dem Nachthimmel zustrebenden Burg Schnellenberg bei Attendorn auf Einladung von Arndt Kirchhoff. Die folgenden Tage auf der lauschigen Terrasse des Hauses Delecke mit Blick auf Park und Möhnesee, romantisch umschwärmt von unzähligen Glühwürmchen.

Arndt Kirchhoff, Beiratsvorsitzender der KIRCHHOFF-Group und in den Präsidien diverser Verbände, wie VDA, BDI, BDA u.a., vertreten und dessen Automotive-Werk in Attendorn von uns vorher besucht wurde, war sogar persönlich den ganzen Abend zugegen und diskutierte mit uns lange in die Nacht hinein die derzeitige Wirtschaftslage und die Zukunft der Automobilindustrie.

Es war für uns alle sehr spannend, aus erster Hand das Neueste von der Wirtschaftsfront zu erfahren. So erhärtete sich die perspektivische Sorge, dass der Branche wohl nicht vor 2026 eine reibungslose Produktion möglich sein wird, weil die Neuordnung der gestörten Lieferketten vermutlich bis dahin andauern wird. Die Engpässe bei unverzichtbaren Materiallieferungen, insbesondere elektronische Bauteile betreffend, können erst durch den Aufbau ausreichender neuer Kapazitäten, speziell auch in Europa, beseitigt werden.

Den Zulieferern der Automobilindustrie drohen außerdem schwere Zeiten, weil sie bereits jetzt ihre enormen Einkaufspreissteigerungen nicht über ihre Verkaufspreise an die OEMs vollumfänglich weitergeben können. Diese bestünden auf der Einhaltung der alten Verträge. Deshalb blieben die Zulieferer ergebnisschmälernd auf der Differenz sitzen, während die OEMs, trotz starker Umsatzrückgänge, hohe Gewinne einfahren können. Außerdem kämen neben den Materialpreissteigerungen noch die Lohnerhöhungen zur Inflationsanpassung obendrauf. Hier versuchten bereits die Tarifparteien auf dem Verhandlungswege Kompromisse derart zu finden, dass mit verstärkten Einmalzahlungen an Stelle von laufenden Lohnerhöhungen, die die Fixkosten langfristig erhöhten, die vermutlich temporären Preissteigerungen für die Arbeitnehmer aufgefangen werden. So könnte man das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale vermeiden, die in den vergangenen Jahrzehnten zur eklatanten Belastung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes führte.

Sehr problematisch sei auch die Versorgungsunsicherheit bei den Gaslieferungen. Sie hänge wie ein Damoklesschwert über der Zulieferindustrie, da Gas fertigungsprozessentscheidend für viele Teile sei, z.B. bei der Umformung von Metallen oder der Betreibung von Lackieröfen. Man spricht bereits auch in diesem Zusammenhang von einer drohenden „Triage“ für den Fall der Gas-Zuteilung an Industrie und private Haushalte.

Freitag wie Samstag erlebten wir den versteckten Charme des Sauerlandes auf anspruchsvollen, kurvigen Berg- und Talfahrten, wo sich nach manch einer Kehre überraschend ein Landschaftspanorama wie im Bilderbuch eröffnete. Doch immer häufiger erschreckten uns auch fast apokalyptisch anmutende Bilder großflächigen Kahlschlags, wo man üppig grüne Wälder erwartete. Aber nicht ein gieriger Holzhandel hat das Ökosystem in fataler Weise aus dem Gleichgewicht gebracht, sondern der Klimawandel mit seiner zunehmenden Trockenheit und den Stürmen. Den Rest besorgte der Borkenkäfer. Er hat seit 2019 große Waldflächen fest im Griff. Aber der Kampf scheint fast aussichtslos zu sein, denn die vom Geäst und der Rinde befreiten Stämme liegen zwischen trostlos übrig gebliebenen Baumstümpfen und Reisig wie Spargelstangen herum und warten auf ihren Abtransport. Der Anblick herzzerreißend wie bedrohlich. Doch die ein oder andere Straße war auch bereits hoch gesäumt von Holzstapeln, fertig geordnet für den Export nach China. Man möchte sich nicht vorstellen, was drohende Erdkorrosionen mit den netten, frisch restaurierten Sauerländer Fachwerkdörfern auf unserer Strecke bei mächtigem Dauerregen machen können...

Das abwechslungsreiche Programm der Tour führte uns neben den herrlichen Landschaftsbildern, durch die jeweils anschließenden Betriebsbesichtigungen, die potente Wirtschaftskraft des Sauerlandes beispielhaft vor Augen. Dank traditioneller Familienunternehmen, einer bodenständigen, fleißigen und zuverlässigen Arbeitnehmerschaft sowie innovativer, ehrgeiziger Ingenieure, sind hier Hidden Champions und Weltmarktführer zu Hause. Und wir durften einige der Champions kennenlernen, trotz Wochenende. Dazu sagte Volker Lazzaro, einer der GFs von MENNEKES, dem letzten von uns besuchten Unternehmen, Weltmarktführer für Stecker und Steckverbindungen sowie intelligente Ladelösungen für E-Autos, nur nüchtern, als wir uns für die Gastfreundschaft an einem Samstagmittag bedankten: „die Alternative wäre Rasenmähen“.

Durch Gespräche mit Belegschaftsmitgliedern über ihre Sicht der Beschäftigungsbedingungen und Zukunftsaussichten erfuhren wir, dass die Arbeitsbedingungen im Sauerland, nicht zuletzt auch durch interessante freiwillige Sozialleistungen der Unternehmen, zufriedene Belegschaften begründeten, die auch junge Nachwuchskräfte animieren, nach ihrer Ausbildung im Sauerland zu bleiben oder zurückzukommen. In dem Zusammenhang haben wir auch mehrere Beispiele für eine erfolgreiche Personalentwicklung über den sog. 2. Bildungsweg gefunden. Gestartet z. B. als Werkzeugmacher, kamen einige Mitarbeiter, gefördert vom Unternehmen, über mehrere Ausbildungsstufen zu einem Hochschulabschluss mit anschließendem Aufstieg bis in die Geschäftsführung. Hierin finden wir sicher einen der Gründe, warum die Unternehmen mit hochmotivierten, hochqualifizierten Mitarbeitern innovative Produkte und Verfahren entwickeln konnten, die ihnen ihre starke Marktposition ermöglichen.

Der erste Treffpunkt der MPCler am Donnerstag war aber Andreas Heines Arbeitgeber, die Fa. KIRCHHOFF Automotive in Attendorn. Sie ist Entwicklungspartner für komplexe Metall- und Hybridstrukturen sowohl für Fahrwerk als auch Karosserie. Dort empfing uns Prof. Christoph Wagener, der Leiter der Produktentwicklung mit einem ausführlichen Vortrag zur Zukunft der Alternativen Antriebe. Fazit: Die Zukunft ab2030 fährt elektrisch, und zwar mit Batterieelektrischen Antrieben, sog. BEVs (Batterie Elektrische Vehicle), da sie den höchsten Wirkungsgrad (76%) haben, wohingegen Brennstoffzellenantriebe, die mit Wasserstoff arbeiten, in 10 Jahren zwar serientauglich sein werden, doch nur auf einen Wirkungsgrad von 26 % (aktuell 14 %) kommen. Plug-in-Hybride sind zukünftig eine ökologisch, technisch, wirtschaftlich unsinnige Alternative. Prof. Wageners Zukunftsannahmen ab 2030 besagen u.a.: Die Reichweite eines Elektroautos wird auf 1000 km wachsen. Kommende Festkörper-Akkus laden in 5 Minuten für 500 km. Es wird überall Ladestationen geben. Die Akkus halten ab 2030 über 2 Mio. Kilometer, was bei der heutigen durchschnittlichen KM-Jahresfahrleistung einer Nutzbarkeit von über 100 Jahren entspricht. Und sie werden gegenüber heute max. ein Drittel pro KWh kosten. Das wird die Anschaffung eines Elektroautos erheblich günstiger werden lassen als einen Verbrenner. Der Betrieb wird zuverlässiger und weniger reparaturanfällig sein und der Fahrspaß durch die sofortige Antriebsreaktion und Beschleunigung deutlich höher.

Der zweite Anlaufpunkt am Freitag war die OTTO FUCHS KG an ihrem Stammwerk in Meinerzhagen. Den meisten von uns ist nur die FUCHS-Felge ein Begriff. Keine Nobelkarosse fährt ohne Räder von FUCHS. Wir durften die zweifarbigen Innovationen sehen. Doch spannend zu erleben war auch die Großschmiede für die Fertigung von Teilen für die Luft- und Raumfahrt. Großkunden sind Boeing und Airbus. Die Anforderungen an Sicherheit und Leichtbau sind hier enorm. Wir besichtigten die eindrucksvolle 60.000-t-Presse. Sie ist die weltgrößte Gesenkschmiedepresse in Unterflurbauweise. Christoph Luisebrink, Key Account Manager bei OTTO FUCHS und lebendes Beispiel für den im Sauerland lebenden, qualifizierten und engagierten Nachwuchs (sein Bruder arbeitet auch bei FUCHS), betonte: Überall dort, wo es auf Sicherheit, Leichtbau, Zuverlässigkeit und Lebensdauer ankomme, seien bei FUCHS gefertigte Schmiedeprodukte gefragt. Darauf sei man stolz. Und auf die Fuchs- Qualität, die schaffe in China noch keiner, man sei aber auf der Hut. FUCHS fertigt auf eigener Werkstoffbasis metallurgisch anspruchsvolle Schmiedeprodukte, Strangpresserzeugnisse und gewalzte Ringe aus Aluminium-, Magnesium-, Kupfer-, Titan- und Nickellegierungen und bietet auch konstruktive Lösungen aus Strangpresserzeugnissen an für die Bau- und Sanitärindustrie sowie die Industrietechnik. Das Verbinden von Profilen erfolgt durch das eigens entwickelte und patentierte OTTO FUCHS Kaltfügeverfahren. Also Innovationen am laufenden Band. Jedenfalls wurde uns deutlich vor Augen geführt: Ohne Gas können die den Laden dicht machen.

Der dritte Aufenthalt war die Brauerei VELTINS. Übrigens: Ohne Gas kein Bier! Wie soll sonst der Braukessel betrieben werden? Wie gut, dass im Herbst, falls es bedrohlich wird, die berühmten Sauerländer Schützenfeste vorbei sind, denn kurzfristig kann keine Umstellung auf andere Energieträger erfolgen. Seit 1824 braut die Pri­vat­braue­rei C.&A. VELTINS in Me­sche­de-Grevenstein streng nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516 und zählt heu­te zu den mo­derns­ten Pri­vat­braue­rei­en Eu­ro­pas. Das Wasser, das in den Bergen rund um Grevenstein entspringt, ist außergewöhnlich weich. Dies ist für VELTINS ein wesentlicher Grund, seit 1926 ausschließlich Bier nach Pilsener Brauart zu brauen. Der Absatzmarkt liegt zu 70 % in NRW. Täglich verlassen 150 vollbeladene LKW mit Hänger den Hof und begeben sich auf die kleinen Sauerländischen Landstraßen. Das lassen die Leute sicher nur friedlich zu, weil irgendjemand in der Familie bei VELTINS arbeitet und kein Schützenfest ohne VELTINS auskommt. Eine soziale Besonderheit des Unternehmens: Jeder Mitarbeiter und ankommende LKW-Fahrer bekommt täglich zwei Flaschen des blonden Gesöffs, auch in den Ferien, aber nicht im Krankheitsfall. Handel damit zu treiben ist aber bei Strafe verboten. Also Prost.

Am Samstag ging es dann zu MENNEKES Elektrotechnik GmbH & Co.KG nach Kirchhundem. Das Unternehmen produziert Steckdosen und Steckverbindungen für jeden Anwendungsfall. Der Ladestecker „Typ 2“von MENNEKES ist seit 2014 per EU-Gesetz der Standard für E-Fahrzeuge in ganz Europa. MENNEKES ist aber nichtmehr nur Symbol für moderne Stecker, Steckdosen und Steckdosenkombinationen, sondern heute für intelligente eMobility-Ladelösungen – inklusive Abrechnungsdienstleistungen. Bei MENNEKES entstehen sichere Verbindungen und die Infrastruktur, also Wallboxen und Ladesäulen, für die Mobilität der Zukunft. MENNEKES betrachtet das Laden von Elektrofahrzeugen ganzheitlich und bedient die ganze Kette vom Fahrzeug bis zum Netzanschluss. MENNEKES hat in diesem Zukunftsmarkt eine überragende Position.

Dank diesem und der anderen von uns besuchten Unternehmen haben wir den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Wirtschaftskraft gerade durch die mittelständischen, hochinnovativen Betriebe gesichert wird und den globalen Wettbewerb auch zukünftig erfolgreich bestehen kann, wenn wir die Energieversorgung in den Griff bekommen.

Und so sind wir frohen Mutes zu Kaffee und hausgemachtem Apfelkuchen mit Schlagsahne in den Forellenhof gefahren, der gleich neben dem „Dampf Land Leute Museum Eslohe“ lag. In dem Museum konnten wir einen Blick zurückwerfen auf Dampfmaschinen, Webstühle und anderes Werkzeug der frühen Industrialisierung und Handwerkskunst. Ein netter Abschluss unserer Tour zwischen Gegenwart, Zukunft und Historie.

Zugegeben, so ein erlesenes Wochenende ist nicht billig, aber es hat sich durch und durch gelohnt. Aber eines wurde auch klar: Ohne den MPC wären Unternehmensbesuche dieser Art nicht möglich.

Ich schließe mit dem Abschiedsspruch der netten Sauerländer Serviererin vom Möhnesee, die unsere beiden Jürgen in der Runde (Book und Stolze) beim Abendessen versehentlich, aber ordentlich mit Weißwein taufte: „Gesundheit und Frieden, alles andere kann man kaufen“.

Von Astrid Gorgas, Fotos: privat

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